Saba und das große Los in der Hundelotterie
von Marianne Wiethoff
Als ich Saba das erste Mal sah, war sie in einem Zigeunerviertel in Tapolca außen am Fensterkreuz angebunden. Das Halsband bestand aus Kabelstücken und Drähten, die „Leine“ aus zusammengeknoteten Rollobändern, Kalbeln und Schnüren war gerade so lang, daß sie bis zur Haustür reichte, dort mußte sie auf zwei schmalen Stufen sitzen oder liegen - natürlich ohne Decke, ohne Dach über dem Kopf, schutzlos Sonne, Regen und Schnee ausgesetzt, ohne Wasser und ohne Futter.
Von dem Hund ging eine tiefe Traurigkeit und vor allen Dingen eine große Resignation aus.
Durch diese Gasse, die man durch eine dunkle Toreinfahrt betritt, kann man von der Hauptstraße das Krankenhaus erreichen. Eine Ärztin, die diesen Weg täglich nahm, hatte Mitleid mit dem armen Tier und brachte ihm immer wieder eine Kleinigkeit zu essen, vielleicht noch der eine oder andere mitleidige Mensch - die meisten aber trauten sich nicht, sich dem Hund zu nähern, denn als „Zigeunerhund“ galt Saba von vornherein als gefährlich.
Damals tauschte ich zunächst das Kabelgewirr an Saba’s Hals durch ein ordentliches Halsband aus und gab ihr eine längere Leine, damit sie sich etwas besser bewegen konnte. Dann versuchte ich, mit den Zigeunern zu reden. Meine Ungarischkenntnisse waren zu der Zeit noch minimal, und ich nahm Eva Kiss, unsere ungarisches Kuratoriumsmitglied mit. Eva war beherzt und resolut, außerdem kannte sie Saba’s Besitzer.
Diese reagierten zunächst frech und ließen uns einfach stehen. Erst als Eva mit schweren Geldbußen drohte (und zwar nicht wegen Tiermisshandlung, dass wäre sinnlos gewesen, weil die entsprechenden Gesetze damals fehltenen - sondern deshalb, weil es für Menschen gefährlich werden könnte, wenn Saba wirklich einen Fußgänger beißen würde), erreichte sie schließlich, dass Saba in einen Schrebergarten gebracht wurde. In der Folgezeit kontrollierte Eva, und es schien, dass es Saba etwas besser ging.
Dann kam der Winter. Es war extrem kalt, in einigen Nächten kam es zu Minustemperaturen von 30°. Im Dezember erhielt ich einen Anruf von meiner Freundin Ilona Szöts, die mir sagte, dass Saba wieder außen an der Tür festgebunden sei, wieder an einem Strick, der so kurz war, dass sie lediglich auf zwei schmalen Stufen sitzen konnte, weiter kam sie nicht.
Saba hatte keine Unterlage, kein Dach über dem Kopf und war schutzlos Schneetreiben, Hagelstürmen und Eisregen ausgeliefert. Es war bitterkalt, Tapolcas Straßen waren oft völlig vereist. Ilona war eines Nachts wild entschlossen, Saba loszuschneiden - aber als sie gegen 1 Uhr morgens in die Gasse gegen kam, beluden die Zigeuner gerade ihren Lada mit Lumpen für den Trödelmarkt, und sie mußte unverrichteter Dinge wieder nach Hause gehen. Sie rief mich noch in der Nacht an und bat mich, zu kommen - sie fürchtete, daß Saba sterben würde.
Als ich einen Tag später nach Tapolca kam, erlebte ich den kältesten Winter meines Lebens.
Mein erster Weg führte mich zu Saba; außer das sie jämmerlich frieren mußte, litt sie natürlich auch an Hunger und Durst. Ich besuchte sie jeden Tag, brachte ihr Wasser und Futter und freundete mich mit ihr an. Ich beschloß, Saba zu stehlen.
Dies musste in den frühen Morgenstunden geschehen, wenn die Zigeunergasse noch im Dunkeln lag, und zwei Tage vor meiner Abreise, damit sie noch ein amtstierärztliches Zeugnis bekommen konnte.
(Die Tollwutimpfung hatte sie, dies ist in Ungarn seit einigen Jahren Pflicht).Von nun an besuchte ich Saba auch nachts, damit ich sicher sein konnte, dass, wenn ich die dunkle Gasse betrat, sie nicht plötzlich bellen würde. Sie sollte mich an meinem Schritt erkennen.
In das von uns in Tapolca erbaute Tierheim konnte ich sie nicht bringen, da die Zigeuner dort als erstes suchen würden und wir dort mit Sicherheit mit einem Racheakt rechnen mussten.
Und dann ging alles ganz schnell - ich kam in den frühen Morgenstunden in die Gasse, in
Begleitung von Henny, einer jungen Ungarin, die ablenken sollte, falls überraschend doch
irgendein Zigeuner aufkreuzte. Saba verhielt sich ganz still, leckte mir die Hände, als hätte sie alles genau gewusst und verstanden.
Schweigend habe ich sie losgeschnitten, und sie ist mit mir zu meinem etwas weiter geparkten Auto gelaufen. Ich habe sie dann bei Ilona in die Garage gebracht, wo diese bereits eine weiche Decke ausgebreitet und Futter und Wasser bereit gestellt hatte.
Zwei Tage später war Saba in Deutschland.
Heute lebt Saba in Darmstadt. Sie ist völlig verändert, ein wunderschöner Hund mit schönem, dichten Fell.
Sie hat das große Los in der Hundelotterie gezogen. Sie lagert königlich auf der
Wohnzimmercouch und kann nicht genug schmusen und toben.
Sie wird heiß und innig von
Herrchen und Frauchen geliebt, das habe ich sofort gespürt, als ich sie besuchte. Aber Saba
war anfangs schwer nieren- und blasenkrank, kein Wunder bei ihrer Vergangenheit.
Heute ist das alles überstanden, sie ist gesund und fröhlich, und es scheint, als sei ihre ganze Statur stolzer und kräftiger geworden. Von Traurigkeit und Apathie ist nichts mehr zu spüren.
Auch für Saba gab es also ein Happy End - wir wünschen ihr und ihrer Familie noch viele glückliche gemeinsame Jahre..
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